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In diesen Tagen verbinden sich manche Dinge auf eine neue Art in mir. Vor einigen Jahren habe ich mit Frank Kirchner ein Projekt unter dem Titel „Männer sind Söhne“ ins Leben gerufen. Wir hatten uns gerade kennengelernt und festgestellt, dass wir beide Lust darauf hatten, ein Angebot für Männer in die Welt zu bringen. Frank als systemischer Therapeut und ich als Gestalttherapeut. Die nächstliegende Idee war es, eine Abendgruppe anzubieten. Frank organisierte uns einen Seminarraum, ich stellte eine Website dazu ins Netz, Johannes Ceh unterstützte uns sehr erfolgreich bei unserer Werbekampagne und so hatten einen tollen Start in unsere Männergruppe.
Das war 2016. Mittlerweile hat uns das Leben auf ganz verschiedene Bahnen geschickt. Wir sind immer noch freundschaftlich verbunden, auch wenn wir nicht mehr zusammen arbeiten. Und wie immer weiß ich nicht, was in Zukunft diesbezüglich passieren mag…
Und heute?
Was ist nun mit „Männer sind Söhne“?
Aus verschiedenen Gründen ist das Projekt „Männer sind Söhne“ in mir einigermaßen weit in den Hintergrund gerückt. Doch jetzt inspiriert mich dieser Titel wieder und ich bekomme Lust darauf, ihn erneut mit Leben zu füllen. Mich mit Männern, mit Menschen zu verbinden. Mein innerer Vater hat sich verändert. Was ist passiert?
Schon lange beschäftigt mich eine Feststellung: „Männer und Frauen gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die sich unterschiedlich anfühlen.“ Diese Feststellung ist so wichtig für mich, weil sie mir als einziger Ausweg aus dem Leid erscheint, den all die geschlechterspezifischen Zuschreibungen von Eigenschaften verursachen. Was und wie Frauen und Männer sind und sein sollen und was sie deshalb nicht sein dürfen. Und wie die Festlegung auf die binären Geschlechtermodelle die Vielfalt unseres Menschseins einengt, Vorurteile und Abwertungen in unsere Herzen und Gedanken pflanzt. Es ist ein großes Thema und sprengt den Rahmen hier.
Doch was hat das alles mit „liebevoller Vater“ zu tun?
Es geht immer wieder um Intimität unter Männern. Um das, wofür so oft „die Frauen“ herhalten müssen. Was viele von uns so gerne an die Frauen delegieren, weil es unbekannt, unvertraut, gefährlich ist. Weil die Polarisierung immer noch so stark ist: Männer halten voneinander Abstand oder sie haben Sex miteinander. Die persönliche sexuelle Ausrichtung ist das Eine. Etwas anderes jedoch ist die Frage nach emotionaler und körperlicher Intimität unter Männern, die nicht sexuell ist (oder sein muss).
Ich bin der Sohn meiner Eltern, der Sohn meines Vaters und ein geliebtes Kind. Soviel weiß ich, das spüre ich. Und dennoch gibt es eine Form von ruhiger, kontinuierlicher liebevoller Zärtlichkeit, auch körperlich, die mir immer gefehlt hat. Da ist ein ständiger, nagender Hunger geblieben. Ein ungestilltes Bedürfnis, das ich nicht formulieren konnte, jedenfalls nicht als Kind. Ich weiß, dass mein Vater selbst mit diesem ungestillten Hunger gelebt hat – und wie hätte er in einer Zeit der nationalsozialistischen Ideologie, gegründet auf Angst und Feindschaft, dem darauf folgenden Krieg und in seiner Gefangenschaft so etwas wie menschliche, väterliche, körperliche, zärtliche Geborgenheit lernen können? Mein Vater hat zeitlebens keine tiefen und guten Erfahrungen mit Männern gemacht, die ihn befreit hätten.
Er hat mir in aller Liebe gegeben, was er konnte – und dafür bin ich ihm sehr dankbar! Intimität jedoch konnte er mir nicht geben.
Die vorsichtige Intimität unter Männern
Sichere, intime Geborgenheit, die auch körperlich ist. Etwas, das sich auch heute noch ein bisschen anfühlt, als würde ich barfuß auf einem Kiesweg gehen. Langsam, vorsichtig, Schmerz vermeidend.
Doch wir lernen zeitlebens und ich darf weiter gehen als mein Vater. Wir dürfen die Weitergabe der Bindungsbrüche an unsere Söhne beenden oder zumindest reduzieren. Lasst uns dahin gehen, wo der Kiesweg in eine grüne, saftige, weiche Wiese übergeht.
Hast du einen intimen Freund, bei dem du dich entspannen, dich hinlegen, ausruhen, ankommen, dich fallenlassen kannst? Kennst du diese Vaterintimität, die sich anfühlt wie weiches, grünes Gras in der Sonne? Eine Wiese, auf der du, wenn es dich überkommt, aufspringst und herumtobst und jederzeit eingeladen bist, dich wieder hinzulegen – weil sie immer noch da ist und dich ganz selbstverständlich in Empfang nimmt. Und du darfst auf der Wiese erzählen, was du erlebt hast. Sie hört dir zu und hält dich, ist für dich da. Du darfst wieder ruhig werden und dich tragen lassen, während die Sonne dich wärmt. Bis wieder ein anderer Impuls in dir entsteht…
Du bist nie auf der Flucht und wirst nie vertrieben, weil du zuviel bist. Du bist willkommen. Und du bist frei, dich und die Welt zu entdecken.
Dieses Bild schenke ich meinem Vater. Ein Bild für körperliche, intime Geborgenheit in Freiheit. Für das, was er mir nicht geben konnte, weil er es selbst nicht hatte.
Doch ich darf es entdecken und weitergeben. Als Mann, als männlicher Mensch, als Mensch.